Dr. Günter Baumann zu der Serie "Convincing a Picture"


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»Das Werdende, das ewig wirkt und lebt«

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(Johann Wolfgang Goethe, Faust, Prolog im Himmel)

Der Mensch ist aus der von ihm einst postulierten Mitte gefallen. Oder ist er grade dabei, genau diese – von jeher wunschgeträumte – Mitte zu suchen? Ivan Zozulya ist sich dessen bewusst, dass seine Bilder ein gewisses Pathos haben. Doch seine Spontaneität und seine Neugierde an der Welt, in der der Mensch sich nun mal positionieren muss, bewahrt ihn zugleich davor. Er fragt sich nach eigenem Bekunden, wie schwer es manchem fällt, »ein wenig außerhalb des Rahmens zu denken« und auch, ob es nicht »genau das sei, was in der Kunst am wichtigsten ist«. Der ukrainische Künstler arbeitet mit Erinnerungen. Auf großen Leinwänden orientiert er sich zunächst an konkreten Szenerien, porträthafte Details, überlagert sie mit nacherlebten Malschichten, die schon kaum mehr sind als verblasste Begebenheiten, bis er schließlich zu einer Bildebene findet, die diese Versatzstücke der Vergangenheit in ein malerisches Ganzes bindet: als Teil der eigenen individuellen Geschichte, aber auch als Teil gesellschaftlicher Entwicklungen. »Meine Leinwände sind sozusagen wie mein Keller, in dem ich die Bilder aufbewahre, die mir immer wieder in den Sinn kommen.« Wie lichtvoll, aber auch unergründlich dieser Keller ist, zeigt die Serie seiner zart lasierten »Überzeugungen«: ein Bild zu überzeugen – so könnte man den Reihentitel »Convincing a Picture« – verweist darauf, dass hier ein Künstler über die Kunst reflektiert. Dabei geht es nicht um Überredungskünste des Malers, sondern eher um den Akt des Malens.

Doch zurück zum Anfang. Ivan Zozulya setzt zunächst im Siebdruck Spuren auf die Leinwand. In den jüngsten Arbeiten sind auch zuweilen Linoldrucke dabei. Wohl kann man darin Figuren und Gegenstände ahnen, die für die Ebene der Alltags- und Arbeitswelt stehen. Sie ist das, was unser Dasein wohl zusammenhält. Nur fügt sich das offenbar nicht mehr so einfach zusammen, wie dies möglicherweise einst war. Die klaren Kanten und Linien suggerieren konkrete Bilder, aber die Vorstellungskraft des Betrachters steht vor einem Rätsel. Warum sollte es ihm anders ergehen als dem aufmerksamen Beobachter des ganz normalen Lebens. Von diesen Setzungen geht Zozulya weiter und sucht mit ausladenden Schwüngen aus farbigen Tuschen die grafischen Elemente zu verbinden. Dass daraus Gliedmaßen eines oder mehreren Menschen werden, ist zunächst dem Zufall, dann dem Kalkül unterworfen: eine Schulterpartie provoziert Arme, die sich mit Beinen, Füßen auf dem Bildträger so verschlingen, dass ein fiktiver menschlicher Organismus entsteht. Wir können uns nun einen Reim darauf machen, ob Arbeit und Alltag unser Leben bestimmen, oder ob das Leben Einfluss auf das hat, was wir beruflich oder in unserer Freizeit tun.
Ein Durcheinander, zugegeben. Aber wo Arme und Beine sind, kann der Kopf nicht fern sein. Hier und da empfiehlt sich eine freie Stelle auf der Leinwand, wo ein gesenkter oder gedrehter Kopf sich als Zentrum empfiehlt. Bei aller anatomischer Zufälligkeiten verdichtet der Maler die fast trockene Tusche so souverän, dass die Körperteile zum räumlichen Gebilde in drehender Bewegung werden: in sich gekehrt, sich losreißend, kreisend, sich befreiend. Ivan Zozulya malt Bilder des Gebens und Nehmens, des Werdens und Vergehens. Es sind keine Szenen in Harmonie, es sind auch nicht unbedingt schöne Körper – und doch sehnt sich das Bild nach Vollkommenheit, während sie teils genüsslich, ja lustvoll gestört wird: durch die Trugbilder unsrer Vergangenheit, durch Überblendungen, neuerdings auch durch geisterhaft körperlose Figuralzeichnungen, mitunter gegenstandsfreie Lineaturen. Ivan Zozulya positioniert seine Protagonisten auf die nicht grundierte Leinwand, oder er lässt sie von undefinierten Farbräumen umfließen. Ungeschützt, da nicht korrigierbar, gestaltet, inszeniert der Maler den Menschen auf der Fläche. Er gibt ihm eine Mitte, die in sich labil bleibt, die Körper darin sind fragil – frei, in ihrem Tun zu scheitern oder sich immer neu zu erfinden.

Günter Baumann

Prof. Cordula Güdemann zu der Arbeit "Absinth / Die Raucher"


 

In seinen neuesten Bildern entschied sich Ivan Zozulya häufig für das große Format – wie zum Beispiel bei dem Bild Absinth: 210 x 480 cm. Diese Großformate haben eine vollkommen andere Präsenz und räumliche Wirkung als die kleineren Bilder. Sie sind auch aus der Nähe nicht mehr überschaubar, und es geht nicht um ein Bild, das in sich geschlossen ist, sondern es ist vielmehr offen nach allen Seiten und kann sich in der Vorstellung des Betrachters in alle Richtungen fortsetzen. Man nimmt einzelne Bildteile wahr, die in der Vorstellung zu einem Bild zusammengefügt werden. In immer stärkerem Maß werden die Figuren und anderen Bildsujets transparent gemalt, die malerischen Mittel hat Ivan Zozulya erweitert bis zur Druckgrafik, die in die Bilder und Zeichnungen integriert wird. Insbesondere der Siebdruck wird immer wichtiger auch als strukturierendes Bildelement. 

Hinzu kommen Bilder, die er auf die Wand malte. Sie wirken, als würden sie Spuren von in diesen Räumen stattgefundenem Leben aufnehmen und diese ergänzen durch Fragmente von neuen Bildideen und man könnte denken, es gab auch diese neu hinzukommenden Bildfragmente schon früher einmal in diesen Räumen. Nicht direkt haben diese Arbeiten mit dem Gedicht des britischen Dichters Stephen Dunn: „The Room“ zu tun, aber wenn man die Räume betritt, die Ivan Z. ausgemalt hat, könnte man diesen Text ergänzen, in dem es darum geht, daß ein Raum alles Geschehene, Gesagte, Gesehene absorbiert. 

Das Gedicht beginnt damit: „The room has no choice. Everything that´s spoken in it it absorbs….“ 

Durch die Art der Wandbemalung, die wirkt, als könnte man durch sie hindurchsehen, entsteht eine besondere Wirkung, die Malerei scheint flüchtig aufzutauchen, für Momente, um dann wieder zu verschwinden, was durch die räumlichen Gegebenheiten, in denen die Wandmalereien platziert werden, die in Renovierung befindlichen Räume, noch verstärkt wird. 

Malerei kann räumliche Tiefe suggerieren, ohne das Mittel der illusionistischen Perspektive

anzuwenden. Raum ist in allen Bildern von Zozulya vorhanden. Dadurch, daß er mit vielen transparenten Schichten arbeitet, erzeugt er nicht nur Raum, er thematisiert auch die Zeit. 

Man kann durch die Figuren, Sofas, Tische und alles andere hindurchsehen – und auf ihnen liegt schon die nächste Schicht, die ebenfalls transparent, zwar erkennbar im Jetzt angelegt ist, aber nur als Zwischenlösung fungiert, man kann auf ein neues, vielleicht besseres  Geschehen hoffen. 

Es ist überraschend, mit welcher Leichtigkeit der Maler Ivan Z. seine Bilder auf Leinwand wie auch die Wandbilder malt. Seine Malerei ist von großer Intensität, anspielungsreich und frei in der Farbgebung wie auch in den kleinformatigen Zeichnungen und Bildern auf Papier.

Erstaunlich viel an malerischen und drucktechnischen Mitteln steht Ivan Z. zur Verfügung, er kann damit hervorragend umgehen.  

Weniger wichtig ist die Bilderzählung, sie hat im Unterschied zu früher nur für den Einstieg in das Bild eine Bedeutung. 

Ivan Zozulyas Bilder überzeugen zuerst als Malerei. Die Transparenz, das Flüchtige, die Figuren und Dinge, die immer Ankommende und Gehende zugleich sind, charakterisieren unsere Zeit, die Malerei aber öffnet neue Räume. 

Cordula Güdemann